Bildungsökonomische Elemente im deutschen Bildungswesen

nettiText: Nannettte Roske

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
2 Was ist Bildungsökonomik?
3 Kurze Geschichte zum heutigen Bildungssystem
4 Über Bildungsstandards, Kompetenzen und Schulautonomie
4.1 Bildungsstandards und Kompetenzen
4.2 Schulautonomie
5 Ein Blick nach Europa
6 Herausforderungen von Bildungsstandards und Schulautonomie
7 Herausforderungen des EQR/DQR
8 Kritik bildungsökonomischer Einflüsse im Bildungswesen
9 Fazit
11 Quellen:

1 Einleitung

Die Fachdisziplin der Bildungsökonomie wies in den 90er Jahren noch eine eher geringe Bedeutung auf (vgl. Schümer/Weiß 2008 S. 7). Insbesondere in Verbindung mit dem PISA-Schock im Jahre 2000 wurde der Ruf nach Veränderungen im Bildungswesen auf deutscher und europäischer Ebene laut. Die Gestaltung der bald darauf folgenden Bildungsreformen ist nicht unwesentlich von ökonomischen Elementen durchzogen und deutet auf den gestiegenen Einfluss der Bildungsökonomie hin. Diese hatte durchaus in den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende erheblich an Bedeutung gewonnen. Sowohl in der Forschung als auch in der Politikberatung (vgl. Schümer/Weiß 2008 S. 7). Wie es zu diesem Bedeutungszuwachs kam, ist eine spannende Frage, der sich jedoch eine andere Arbeit widmen muss. In der vorliegenden Arbeit soll ein Bild davon gezeichnet werden, an welchen Stellen und Elementen des deutschen Bildungssystems bildungsökonomische Einflüsse deutlich werden. Diese gehen weit über die Aufstellung von finanziellen Kostenplänen von Bildungseinrichtungen hinaus.

Nachdem die Disziplin der Bildungsökonomik unter Punkt 2 in ihren wesentlichen Merkmalen vorgestellt wird, werden unter den Punkten 3 und 4 die wichtigsten Merkmale des deutschen Bildungssystems seit dem Reformschub durch PISA vorgestellt. Unter 5. erfolgt ein Blick auf den europäischen Qualifizierungsrahmen. Da sich diese Bildungsreformen in ihrer Gänze nicht ohne ihren Bezug zur Europa-Politik betrachten lassen. In dieser Arbeit sollen auch bedenkenswürdige Entwicklungen und potenzielle Risiken aufgezeigt werden, die im Zusammenhang mit bildungsökonomischen Praktiken entstehen können. Dies findet sich unter Punkt 8. Um diese Entwicklungen besser nachvollziehen zu können werden unter den Punkten 6 und 7 bestehende Herausforderungen im Zusammenhang mit den Bildungsstandards, der Schulautonomie und dem europäischen bzw. deutschen Qualifikationsrahmen vorgestellt. Die Arbeit schließt mit einem kurzen Fazit und einem Ausblick auf mögliche anknüpfende Forschungsfragen.

2 Was ist Bildungsökonomik?

Die Fachdisziplin der Bildungsökonomie oder synonym auch Bildungsökonomik befasst sich mit den Auswirkungen von bildungsbezogenen Entscheidungen sowohl auf der Mikroebene, also des Individuums, als auch der Makroebene, also der Gesellschaft. Dabei werden die (langfristigen) wirtschaftlichen Auswirkungen für den Arbeitsmarkt betrachtet (vgl. WIB). Mit Hilfe anspruchsvoller Analysemethoden werden in der Bildungsökonomie Kosten-Nutzen Rechnungen in Bezug auf bildungsrelevante Fragen aufgestellt (vgl. Schümer/Weiß 2008, S. 8). Zum Beispiel, welche wirtschaftlichen Auswirkungen hat die Verkürzung der Schulzeit sowohl auf der Makro als auch der Mikro Ebene? Welche die Zentralisierung von Abschlussprüfungen? Welchen Nutzen hat die zusätzliche Aufnahme eines Masterstudiums? Welche Konsequenzen ergeben sich aus einer vorgezogenen Einschulung? Welche Vorteile birgt die freie Wahl der Schule? Jede Entscheidung, unabhängig von Mikro oder Makro Ebene bedeutet auch einen Einsatz vieler Ressourcen. Ob diese Ressourcen auch gerecht und zielgerichtet eingesetzt werden, ist ebenfalls Aufgabe der Bildungsökonomie (vgl. WIB).

3 Kurze Geschichte zum heutigen Bildungssystem

Bereits die 90er Jahre waren geprägt von einer zunehmenden Ökonomisierung des Bildungswesens. Die Entwicklungen lassen beschreibende Schlagworte wie, Effizienz, Kosten-Nutzen Rechnungen und Exzellenz zu. Fortlaufende Optimierung bei möglichst geringen Kosten stand auf dem Programm (vgl. Gudjons 2012, S. 110.). Mit der Jahrtausendwende wurden umfangreiche Bildungsreformen angestoßen. Denen nicht zuletzt der PISA-Schock aus dem Jahre 2000 und die zweite PISA-Erhebung von 2003 Aufwind verschafften. Die Kurzform PISA setzt sich aus dem Namen Programme for International Student Assessment zusammen. Wie im weiteren Verlauf dieser Arbeit deutlich werden wird, wurde die in den 90er Jahren bereits begonnene Ökonomisierung des Bildungswesens im Rahmen dieser Bildungsreformen weiter fortgeführt (vgl. Gudjons 2012, S. 286).

Die wesentlichen Programmpunkte des Bildungsreformschubes nach PISA im Deutschen Schulwesen seien im Folgenden kurz genannt:

  • Haupt- und Realschule wurden zu neuen Schultypen zusammengefasst. Die Bezeichnungen dieser Schultypen können regional verschieden sein. Das Gymnasium bleibt separat bestehen.
  • Vorschulische Bildung und Frühförderung wurde ausgebaut. Insbesondere Sprachförderkurse für Kinder die Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache lernen.
  • Ausbau von Ganztagsbetreuung
  • Verkürzung der Schuljahre bis zum Abitur von 13 auf 12 Jahre
  • Einführung zentraler Prüfungen für alle Schultypen
  • Einführung von Vereinbarungen zwischen Schüler_innen, Eltern und Lehrkräften, um das Erreichen von Lernzielen in einem bestimmten Zeitraum sichtbar zu machen. Häufig in Form von sogenannten Lerntagebüchern. Doch auch hier kann es von Region zu Region vor allem in den Bezeichnungen Unterschiede Geben.
  • Eine sehr weitreichende Veränderung stellte die Einführung der sogenannten Bildungsstandards dar. Diese gelten bis auf wenige Ausnahmen bundesweit und werden von der Kultusministerkonferenz ( im Folgenden KMK) verabschiedet. Auf die Bildungsstandards wird unter Punkt 4 näher eingegangen.
  • Einen regelrechten Paradigmenwechsel löste der Reformpunkt der Schulautonomie aus. Dabei sollten die Schulen beginnen selbstständig ein eigenes Schulprogramm zu entwerfen und fortzuschreiben. In den jeweiligen Schulprogrammen soll das individuelle pädagogische und didaktische Profil der Schulen verankert werden, sowie die schulspezifischen Ziele und Wege der praktischen Umsetzung der Bildungsstandards. Den Schulen ist es daher selbst überlassen über das „wie“ sie ihre Schülerinnen und Schüler auf das Erreichen der Bildungsstandards vorbereiten. Auch das Thema Schulautonomie soll im Folgenden näher erläutert werden.

4 Über Bildungsstandards, Kompetenzen und Schulautonomie

4.1 Bildungsstandards und Kompetenzen

In einer Publikation des Sekretariats der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland über das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland 2017/18 ist die Rede von:

„verbindliche[n] Bildungsstandards, die sich an Kompetenzbereichen des Faches bzw. Fächerverbundes orientieren und in denen die Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse festgelegt werden, über die die Schülerinnen und Schüler zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Schullaufbahn verfügen sollen. […] Dabei geben die bundesweit geltenden Bildungsstandards die Zielperspektive vor, während die Lehrpläne den Weg zur Zielerreichung beschreiben und strukturieren.“ (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2019, S. 128).

Ein sehr wesentliches Merkmal der Bildungsstandards ist demnach, dass in ihnen Zielvorgaben und Inhalte der einzelnen Fächer nicht wie zuvor umfangreich ausformuliert werden, sondern in recht kompakter Form beschrieben und als Kompetenzen bezeichnet werden (vgl. Gudjons 2012, S. 288).

Bei dem Kompetenzkonzept geht es weniger um das Beherrschen bestimmter Fertigkeiten sondern eher darum, ob die Schülerinnen und Schüler erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten nutzen und vor allem auch auf neue Sachverhalte hin bezogen anwenden können. Im Vordergrund des Kompetenzkonzepts steht also die Anwendbarkeit. Eine besondere Rolle spielen auch Kompetenzen, die über die reinen Fächergrenzen hinweg wirksam sind. Darin geht es neben der Problemlösefähigkeit und der Kooperationsfähigkeit um das Lernen selbst bzw. die Frage, wie fähig die Kinder und Jugendlichen sind, selbstgesteuert zu lernen (vgl. Raidt 2009, S. 205).

Andreas Schleicher ist Statistiker und Bildungsforscher. Er hat das Direktorat für Bildung bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (im Folgenden OECD) inne und ist leitender Koordinator der PISA- Studien.

In einem Interview vom 22.04.2021 mit dem Titel: „Was Kinder im 21. Jahrhundert lernen sollten, bittet ihn die Deutschlandfunk Moderatorin Ute Welty darum konkret zu beschreiben was das Lernen von Kompetenzen ausmacht. Schleicher gibt darauf ein konkretes Beispiel aus dem Geschichtsunterricht: Nach Schleicher ginge es dort zum Beispiel nicht mehr allein darum sich Personen und Plätze merken zu können, sondern zugrundeliegende Strukturen verstehen zu können. Wie etwa nachvollziehen zu können wie, um bei dem Beispiel des Geschichtsunterrichts zu bleiben, das Narrativ einer Gesellschaft entstanden ist, wie es sich entwickelt hat oder was die Hintergründe sind aus denen manche Gesellschaften sich wieder aufgelöst haben (vgl. Schleicher 2021).

Schleicher führt weiterhin aus, dass Kinder und Jugendliche weniger Dinge, jedoch diese dafür in größerer Tiefe und deutlich anwendungsbezogener lernen sollten. Als Grund nennt er, dass in Zukunft konkretes Fach und Fertigwissen potenziell schnell an Bedeutung verlieren wird. Aufgrund der geplanten zunehmenden Digitalisierung könne konkretes Faktenwissen schnell digitalisiert und jederzeit zugänglich gemacht werden. Wichtiger sei es die übergeordneten Mechanismen und Strukturen zu verstehen (vgl. Schleicher 2021).

Die Bildungsstandards geben also die Kernbereiche eines Faches vor. Die geforderten Denkoperationen leiten sich aus den Kernideen und den grundlegenden Fachbegriffen ab (vgl. Gudjons 2012, S. 288). Bildungsstandards gibt es nicht für alle Fächer. Es gibt sie für Deutsch, Mathe, die erste Fremdsprache, die fortgeführte Fremdsprache und die Naturwissenschaften Physik, Biologie und Chemie (vgl. KMK (b) zu Bildungsstandards).

Die Bildungsstandards fungieren auch als eine Form von Mindeststandards, über die alle Kinder und Jugendlichen verfügen sollen (vgl. Gudjons 2012, S. 288).

Ferner zeichnen sich Bildungsstandards dadurch aus, dass inwiefern die Zielvorgaben erreicht wurden, daran festgemacht wird, was die Schülerinnen und Schüler am Ende können. Die Bildungsstandards führen also auf, welcher „Output“ von den Lernenden erwartet wird. Den „Input“, also das was konkret im Unterricht gelehrt werden soll, obliegt wiederum den einzelnen Schulen. Näheres dazu unter Schulautonomie (vgl. Gudjons 2012, S. 288).

Mit der Einführung von Bildungsstandards verband die Bildungspolitik die Absicht das Thema Bildung in Deutschland zentraler zu gestalten und zum Beispiel den Umzug von einem zum anderen Bundesland zu erleichtern. Darüber hinaus wollte man den Unterricht effizienter gestalten, damit deutschen Schulabgänger_innen nicht die Möglichkeit des Anschlusses an internationale Spitzenleistungen verwehrt bleibt. Dafür sollte sich der Unterricht auf Wesentliches konzentrieren. Ein weiteres Ziel war es ein flächendeckendes Bildungsminimum zu garantieren um sozialen Ungleichheiten entgegenwirken zu können (vgl. Gudjons 2012, S. 289).

4.2 Schulautonomie

Wie bereits unter Punkt 3 erwähnt stellt die seit den Bildungsreformen der 90er Jahre angestrebte Schulautonomie einen erheblichen Wandel der bis dahin gelebten Praxis dar. Schulen sind angehalten sich nicht nur als lehrende sondern auch als lernende Institutionen zu verstehen. Sie sollen ihre speziellen Voraussetzungen und Bedarfe analysieren, ihre Ziele in einem eigenen Schulprogramm festschreiben und an der Umsetzung arbeiten. Sie erhalten also auf der einen Seite mehr Gestaltungsspielraum auf der anderen Seite jedoch auch ganz neue Pflichten. Das Ziel ist die Steigerung der Schulqualität (vgl. Gudjons 2012, S. 290). Neben der Organisationsentwicklung und der Personalentwicklung spielt vor allem die Unterrichtsentwicklung eine wichtige Rolle. Schulen sollen individualisierte Lernkonzepte entwickeln um möglichst allen Kindern gerecht zu werden. Unterrichtsformen können in ihrer Zusammensetzung angepasst werden. Die Schule entscheidet wie zum Beispiel das Verhältnis von Frontalunterricht und selbstgesteuerter Freiarbeit in Form von Projekten und Stationenlernen zusammensetzt wird (vgl. Gudjons 2012, S. 291).

5 Ein Blick nach Europa

Diese Bildungsreformen reihen sich in eine europaweite Bestrebung der Deskription von Qualifikationen ein. Eine besondere Rolle spielt dabei der Europäische Referenzrahmen für lebenslanges Lernen (im Folgenden EQR abgekürzt). Der EQR wurde 2008 als Empfehlung vom Europäischen Parlament verabschiedet (vgl. Brokmeier/Ciupke 2010, S. 135).

Der EQR soll als ein Übersetzungsinstrument fungieren, welches dazu dient nationale Qualifikationen innerhalb der acht im EQR beschriebenen Niveaustufen verorten zu können. Ziel ist es die Übersichtlichkeit über das breite Spektrum verschiedenster länderspezifischer Qualifikationen zu erhöhen. Die Niveaustufen gelten als Referenzrahmen und beschreiben welche Kompetenzen von einer Person aufgrund ihrer Bildungsabschlüsse zu erwarten wären. Doch sollen neben den auf formalen Bildungswegen gewonnenen Kompetenzen auch Kompetenzen aus informell und non-formalen Bildungs- und Lernmöglichkeiten mit aufgeführt werden (vgl. KMK (a) zu EQR/DQR). Vor allem informelles Lernen meint einen selbstgesteuerten und aus dem persönlichem Interesse sowie der Motivation eines Individuums heraus initiierten Lernprozess. Darunter fällt zum Beispiel das durch das Pflegen eines eigenen Gartens erworbene gärtnerische Wissen und ist verbunden mit einem selbstgesteuerten Prozess. Ist dieser Lernprozess in irgendeiner Form institutionalisiert, jedoch nicht in Form von schulischen, hochschulischen oder ausbildnerischen Bildungsabschlüssen, handelt es sich um non-formales Lernen. Das können zum Beispiel Weiterbildungen aber auch der Besuch von Workshops und Seminaren sein (vgl. Bilger/Gnahs/Hartmann 2013).

Wie oben erwähnt wurde soll der EQR innerhalb Europas eine Übersichtlichkeit von Qualifikationen herstellen. Durch die Referenzniveaus sollen Bildungsqualifikationen innerhalb Europas leichter vergleichbar gemacht werden. Dies wiederum soll die Mobilität von Arbeitnehmern und Arbeitgebern innerhalb der EU und lebenslanges Lernen fördern. Darüber hinaus soll er eine Form der Qualitätssicherung darstellen (vgl. KMK (a) zu EQR/DQR).

Die Implementierung des EQR auf die nationalen Ebenen der Mitgliedsländer ist, nicht bindend. Deutschland hat sich dafür entschieden und der Deutsche Qualifikationsrahmen (im Folgenden DQR) wurde 2011, nach mehreren Jahren der zum Teil kontroversen Diskussionen über eine angemessene Umsetzung, vom eigens zu diesem Zweck gegründeten Arbeitskreis DQR verabschiedet. Etwa 10 Monate später wurde er von Vertretern des BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung), des damaligen BMWi (Bundesministerium für Wirtschaft), der KMK, der WMK (Wirtschaftsministerkonferenz), des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, des Deutschen Industrie und Handelskammertags, des Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Bundesinstituts für Berufsbildung bestätigt (vgl. Bund-Länder-Koordinierungsstelle 2013, S. 10).

6 Herausforderungen von Bildungsstandards und Schulautonomie

Wie oben erwähnt sind die Bildungsstandards auf einige Fächer beschränkt. Kann dadurch noch gewährleistet werden, dass es zu einer ausreichenden Allgemeinbildung kommt? Dadurch kann eine Hierarchie zwischen den Fachdisziplinen hervorgerufen beziehungsweise Vertieft werden. Fächer die nicht aufgeführt werden erscheinen dadurch zum Beispiel als weniger wichtig. Das sind zum Beispiel Fächer im sportlich-, künstlerisch-kreativen und musischen Bereich. Diese Disziplinen leisten jedoch einen wichtigen Beitrag zur Persönlichkeitsentfaltung (vgl. Gudjons 2012, S. 289). Beim Jahrestag des „Netzwerks Forschung Kulturelle Bildung“ haben Expert_innen aus dem Bildungs und Kulturbereich über die Relevanz und Förderung von kultureller Bildung insbesondere im frühkindlichen Bereich und darüber hinaus diskutiert. Dabei wurde unter Anderem festgehalten, dass die positive Wirkung urmenschlischer kreativer Ausdrucksformen, in zahlreichen Studien belegt sei. Darüber hinaus fördere Bildung in künstlerischen Bereichen soziale Kompetenzen und auch die kognitive Lernfähigkeit (vgl. Deutschlandfunkkultur 2021b).

Fraglich ist auch ob die Konzentration auf Wesentliches nicht auch zu einer Verknappung eigentlich sehr zeitintensiver Bildungsprozesse führt, wodurch ein eher bruchstückhaftes Wissen zustande kommt. Des Weiteren kann das selbstorganisierte und selbstgesteuerte Lernen bei durch die Bildungsstandards klar vorgegebenen Zielmarken stark eingeschränkt werden (vgl. Gudjons 2012, S. 289).

Das Konzept der Schulautonomie und der damit einhergehenden Schulentwicklung ist auch nicht frei von möglichen Fallstricken, die sich bei der Umsetzung ergeben. Für Lehrkräfte ergibt sich daraus eine erhöhte Übernahme von Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die zuvor bei den übergeordneten Stellen wie der Schulaufsicht und der Schulverwaltung lagen. Die Anforderungen an die Lehrkräfte sind also gestiegen. Je nach individuellen Voraussetzungen können sich Lehrkräfte dadurch motiviert, aber leider auch überlastet fühlen (vgl. Gudjons 2012, S. 291). Eine weitere Herausforderung ergibt sich insbesondere aus der Kopplung von vorgegebenen Bildungsstandards und der Schulautonomie. Wenn es den Schulen selbst überlassen ist, wie sie die Schülerinnen und Schüler dazu bringen die Leistungserwartungen zu erfüllen, besteht die Möglichkeit, dass der Unterricht lediglich als Übungszeit in Vorbereitung auf Prüfungen genutzt wird und dadurch sämtliche Offenheit und Undeterminiertheit verliert. Dieses Phänomen wird oft als das teaching to the test Phänomen bezeichnet (vgl. Schümer/Weiß 2008, S. 27). In den USA weist das Bildungssystem ähnliche bildungsökonomische Merkmale wie Schulautonomie und festgelegte Leistungsstandards auf. Hier werden auch Anreize in Form von Konkurrenzdruck und Belohnungen geschaffen. Schulen sind daher bestrebt in Schulrankings besonders gut abzuschneiden. Es sind viele Fälle bekannt geworden wo nicht nur das bereits erwähnte unpädagogische teaching to the test praktiziert wurde, sondern es darüber hinaus zu Betrugsversuchen wie das Vorsagen der richtigen Antworten seitens der Lehrkräfte kam. Aus England sind sogar Fälle bekannt bei denen leistungsschwache Kinder an Testtagen vom Unterricht ausgeschlossen wurden. Eine 2005 durchgeführte Umfrage in amerikanischen Schulbezirken ergab, dass 70% der Schulen die Zusammensetzung ihres Unterrichts zugunsten der test-relevanten Fächer umstrukturiert hatten. Manche nicht testrelevanten Fächer wurden zum Teil gar nicht mehr unterrichtet (vgl. Schümer/Weiß 2008, S. 27). Hier zeigt sich wiederum die Problematik, dass die Fächer, die beispielsweise in den deutschen Bildungsstandards eine Überbetonung erhalten nur einen begrenzten Ausschnitt das potenzielle Leistungsspektrum widerspiegeln (vgl. Schümer/Weiß 2008,S. 28). Das Ziel durch die Schulautonomie die Schulqualität zu verbessern kann unter Betrachtung dieser Aspekte nicht als erreicht betrachtet werden.

7 Herausforderungen des EQR/DQR

Zentrales Prinzip des EQR sowie des DQR ist die Bewertung formaler und non-formaler Bildungsgänge und nicht die Bewertung einer Person. Die real vorhandenen Fertig- und Fähigkeiten einer Person werden also nicht abgebildet. Stattdessen wird aufgezeigt, welche Kompetenzen aufgrund der erworbenen Abschlüsse zu erwarten sind (vgl. Brokmeier/Ciupke 2010, S. 135).

Die Erarbeitung des DQR fand im Arbeitskreis DQR statt. Auffällig ist das Übergewicht der am Arbeitskreis beteiligten Vertreter von Bund und Wirtschaft. Es besteht also ein gewisses Machtgefälle und es stellt sich die Frage inwieweit diese Personen berechtigt sind, die schillernde Landschaft der formellen-, informellen und non-formalen Qualifikationen zu bewerten und dadurch mit Einfluss auf die beruflichen Zukunftschancen einzelner Individuuen zu nehmen (vgl. Brokmeier/Ciupke 2010, S. 137). Auch wenn der EQR nicht bindend ist, wurde seine Übersetzung in nationale Qualifizierungsrahmen angegangen. Es besteht die Möglichkeit das es sich aufgrund wirtschaftlicher Zwänge doch zu Imperativen entwickelt. Auf der Seite des Europasses wird beschrieben, dass Immer mehr Institutionen, Kammern und Verbände dazu über gehen würden, die Dokumente des Europasses (zu denen auch ein Zeugnis mit der Niveaustufenzuordnung nach dem DQR gehört) als verbindliche Vorlagen für ein Bewerbungsverfahren etablieren würden (vgl. Europass NEC).

8 Kritik bildungsökonomischer Einflüsse im Bildungswesen

Die Popularität der bildungsökonimischen Disziplin ist im Zusammenhang mit den bildungsökonomisch angelehnten Aktivitäten der OECD deutlich gestiegen. In den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende hat die Bildungsökonomie erheblich an Bedeutung zugelegt. Ein Grund dafür könnten die knapper werdenden Mittel in Kombination mit dem Bedeutungszuwachs von Bildung als Schlüsselfaktor für die Lösung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Probleme gewesen sein (vgl. Schümer/Weiß 2008, S. 7). Der Einfluss bildungsökonomischer Überlegungen und Ideen ist bei den vorangegangenen Abschnitten dieser Arbeit kaum zu übersehen. Maßnahmen, wie die Verschlankung des Unterrichts, die Verkürzung der Schulzeit, die Vergleichbarkeit von Prüfungsleistungen und Bildungsqualifikationen, sowie die Autonomisierung von Schulen zielen auf eine Verbesserung der (zukünftigen) wirtschaftlichen Bedingungen ab. Sie zielen unter Anderem auf Flexibilität und Mobilität von Arbeitnehmern sowie Arbeitgebern ab. Gerd E. Schäfer ist Professor der Pädagogik der frühen Kindheit und beschreibt das Bildungswesen als stark unter dem Druck der Wirtschaft stehend. Dieser Druck entsteht nicht zuletzt durch ökonomische Elemente wie der Standardisierung und Normierung, wie sie zum Beispiel durch die Bildungsstandards und der Einordnung in den DQR gegeben ist. Diese Elemente bewirken eine Vergleichbarkeit und sollen Wettbewerbseffekte auslösen. Diese führen leider zu Konkurrenzdenken und Druck (vgl. Schäfer 2015, S. 4). Schäfer spricht davon, dass dieser dieser durch ökonomisch begründeten Anforderung durch Meßinstrumente wie PISA generierte Druck über die Schulen bis hin zu den einzelnen Lernenden durchgereicht wird (vgl. Schäfer 2015, S. 4).

Das Konzept der Schulautonomie kann als ein Beispiel für dieses Phänomen betrachtet werden. Bei einer gleichzeitigen Festsetzung verbindlicher Bildungsstandards wirkt das Konzept der Schulautonomie wie eine Farce. Wirklich tiefgreifende Spielräume bleiben den Schulen nämlich durch den Zugzwang der Erfüllung der Standards verwehrt. Auch entsteht der Eindruck, dass die Schulen lediglich mit der praktischen Umsetzung der Bildungsstandards allein gelassen werden. Ein weiteres ursprünglich der Ökonomie entsprungenes Element von Wettbewerbsanreizen ist die Einführung von Schulrankings. Durch die Veröffentlichung von Ranglisten der (besten) Schulen soll eine Art anspornende Konkurrenzsituation geschaffen werden. Diese Rankings sind jedoch anfällig für Ungenauigkeiten und damit Ungerechtigkeit. Um die Schulen realistisch einschätzen und gar vergleichbar zu machen müssten sehr viele externe Einflussfaktoren mit berücksichtigt werden, wie etwa das soziale Umfeld der besuchenden Schülerinnen und Schüler (vgl. Gudjons 2012, S. 289).

Die bereits erwähnte Verknappung von Lerninhalten wird durch die Vermittlung von Kompetenzen vorangetrieben. In der Praxis werden komplexe Lerninhalte in einzelne Kompetenzen aufgespalten, die isoliert von einander belehrt und vor allem überprüft werden können (vgl. Schäfer 2015, S. 5). Die von Schleicher beschriebene Minimierung von der Vermittlung reinen Fach und Faktenwissens ist nicht von den zu lernenden übergeordneten Denkoperationen (um welche es Herrn Schleicher vorrangig geht) zu trennen. Um Prinzipien zu verstehen bedarf es konkrete Daten Gegenstände um zwischen ihnen bestehende Beziehungen zu verstehen (vgl. Ute Welty im Gespräch mit Andreas Schleicher 2021).

Durch diese Inhaltskomprimierung und Erfüllung festgelegter Standards wird sowohl die Wahrnehmung der Diversität unterminiert, als auch die subjektive freie Persönlichkeitsentfaltung des Individuums eingeschränkt (vgl. Schäfer, 2015, S. 6).

9 Fazit

Es wurde deutlich, dass bildungsökonomische Elemente im deutschen Bildungswesen vorhanden sind. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Standardisierung und Vergleichbarkeit von Leistungen in Verbindung mit weiteren Wettbewerbseffekten dem Bildungswesen einen gesteigerten marktwirtschaftlichen Anstrich verliehen haben. längerfristig scheint es in erster Linie darum zu gehen dem (europäischen) Arbeitsmarkt in Form von passgenauen Arbeitskräften zuzuspielen.Dabei kann die freie Entfaltung der Persönlichkeit von Lernenden gefährdet werden. Es entsteht der Eindruck als wäre das standardisierte und festgeschriebene Wissen anderen Kenntnissen und Wissensbereichen überlegen. Real vorhandene Größen wie die Diversität werden dabei unterminiert. Zu den möglichen Auswirkungen bildungsökonomischer Elemente im Bildungswesen wurde weiterhin das Aufkommen unpädagogischen Handels seitens der Lehrkräfte, wie etwa beim Phänomen des teaching to the test herausgearbeitet. Durch die als Kompetenzen bezeichneten und im Grunde zerpflückten Lerninhalte besteht die Gefahr des aus den Zusammenhang gelösten Lernens.

Über diese Auswirkungen hinaus stellt sich die Frage, was machen bildungsökonomische Elemente wie deterministische Bildungsstandards mit der Psyche von Kindern und Jugendlichen und dem gesamtgesellschaftlichen Bild von Bildung und Wissen? Welchen Einfluss nehmen derartige Praktiken auf das Selbstbild von Individuen? Was macht es mit Kindern, die gute Fertigkeiten im künstlerisch-kreativen und sportlichen Bereich aufweisen, wenn diese Fächer nicht testrelevant sind? Eine weitere Frage, der in diesem Zusammenhang vielleicht nachgegangen werden könnte, ist: welche sozio-kulturellen Auswirkungen es haben kann, wenn insbesondere Menschen mit vielseitigen Biografieverläufen in knappe Referenzniveaustufen, wie es im EQR vorgesehen ist, eingeordnet werden? Aus diesen weiteren Fragen und der vorangegangenen Arbeit wird deutlich, dass es nicht wenige kritisch zu betrachtende und zu überdenkende Herausforderunge im Zusammenhang mit der Ökonomisierung von Bildung gibt. Diese Erkenntnisse sind definitiv nicht neu. Warum die Bildungsökonomie ungeachtet dessen nach wie vor einen hohen Stellenwert im Bildungswesen und der Politik einnimmt wäre eine weitere Untersuchung wert!

11 Quellen:

Bilger, Frauke; Gnahs, Dieter; u. a. (Hrsg.) (2013): Weiterbildungsverhalten in Deutschland. Resultate des Adult Education Survey 2012. Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung. Bundesministerium für Bildung und Forschung Auftraggeber). Bielefeld: Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG. Online verfügbar unter: https://www.wbv.de/de/download/shop/download/0/_/0/0/listview/file/-direct%4014—1120w/area/journals.html?cHash=5f17cc75b6c81b73ec2eb0b06f757478. Zuletzt geprüft am 28.03.2022.
Brokmeier, Boris; Ciupke, Paul (2010): Außerschulische politische Bildung zwischen Deskriptoren und Niveaustufen. Zur aktuellen Debatte um den Deutschen Qualifikationsrahmen. In: Außerschulische Bildung. Materialien zur politischen Jugend- und Erwachsenenbildung. Ausgabe 2-2010. S. 135-139.
Bund-Länder-Koordinierungsstelle „Deutscher Qualifikationsrahmen“ (2013): Handbuch zum Deutschen Qualifikationsrahmen. Struktur-Zuordnungen-Verfahren-Zuständigkeiten. Online verfügbar unter: https://www.dqr.de/dqr/shareddocs/downloads/media/content/dqr_handbuch_01_08_2013.pdf?__blob=publicationFile&v=1. Zuletzt geprüft am: 28.03.2022.
Europass, Nationales Europass Center in Deutschland (NEC): Europass Zeugniserläuterungen – Ihr „Jobticket“ nach Europa. Startseite ? Dokumente ? Europass Zeugniserläuterungen ? Infobaltt Europass Zeugniserläuterungen (pdf). Online verfügbar unter: https://www.europass-info.de/fileadmin/user_upload/europass-info.de/PDF/Infoblatt_Zeugniserlaeuterungen_LowRes.pdf. Zuletzt geprüft am 30.03.2022.
Gudjons, Herbert (2012): Pädagogisches Grundwissen. Überblick-Kompendium-Studienbuch. 11. überarb. Auflage. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt Verlag.
Kultusminister Konferenz (a) : Europäischer Qualifikationsrahmen/Deutscher Qualifikationsrahmen. Startseite ? Themen ? Internationales ? Deutscher und Europäischer Qualifikationsrahmen. Online verfügbar unter: https://www.kmk.org/themen/internationales/eqr-dqr.html. Zuletzt geprüft am 28.03.2022.

Heimendahl, Hans Dieter (2021, 19.09.): Kulturelle Bildung. Für jedes Kind die Tür weit öffnen. In: Diskurs (Radiosendung). Deutschlandfunkkultur (Radiosender). Online verfügbar unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de/kulturelle-bildung-fuer-jedes-kind-die-tuer-weit-oeffnen-100.html. Zuletzt geprüft am 30.03.2022.

Kultusminister Konferenz (b): Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz.

Startseite ? Themen ? Qualitätssicherung in Schulen ? Bildungsstandards. Online verfügbar unter: https://www.kmk.org/themen/qualitaetssicherung-in-schulen/bildungsstandards.html. Zuletzt geprüft am 28.03.2022.

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Schäfer, E. Gerd (2015): Über Ökonomie, Bildung, Beteiligung und das Problem der Diversität. Luxemburg.
Schleicher, Andreas (2021, 22.04.): Was Schüler im 21. Jahrhundert lernen sollten. Im Gespräch mit Ute Welty. In: Studio 9 (Radiosendung). Deutschlandfunkkultur (Radiosender). Online verfügbar unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de/bildung-was-schueler-im-21-jahrhundert-lernen-sollten-100.html. Zuletzt geprüft am 30.03.2022.
Schümer, Gundel; Manfred, Weiß (2008): Bildungsökonomie und Qualität der Schulbildung. Kommentar zur bildungsökonomischen Auswertung von Daten aus internationalen Schulleistungsstudien. Max-Traeger-Stiftung (Auftraggeber). Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (Hrsg.). Coburg.
Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (2019):

Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland 2017/2018 Darstellung der Kompetenzen, Strukturen und bildungspolitischen Entwicklungen für den Informationsaustausch in Europa. Bonn. Online verfügbar unter: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Eurydice/Bildungswesen-dt-pdfs/dossier_de_ebook.pdf. Zuletzt geprüft am 30.03.2022.

Wuppertaler Institut für bildungsökonomische Forschung (WIB) : Was ist Bildungsökonomik? ? Startseite WIB ? Forschungsschwerpunkte ? Was ist Bildungsökonomik?Online verfügbar unter: https://www.wib.uni-wuppertal.de/de/forschung/was-ist-bildungsoekonomik.html. Zuletzt geprüft am 29.03.2022.

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